
Die Absicherung Ihrer Lieferkette gegen Naturrisiken ist keine Frage der Nachhaltigkeit, sondern eine operative Notwendigkeit, die auf der Analyse von Abhängigkeiten beruht.
- Die meisten Risiken liegen nicht in der eigenen Produktion, sondern in vorgelagerten Wertschöpfungsstufen und deren Abhängigkeit von intakten Ökosystemen.
- Ein TNFD-konformes Assessment (LEAP-Framework) ist der Standard, um diese Abhängigkeiten zu lokalisieren, zu bewerten und materielle Risiken zu identifizieren.
Empfehlung: Beginnen Sie nicht mit einem Bericht, sondern mit einer granularen Analyse Ihrer Wertschöpfungskette, um die kritischsten Ökosystem-Abhängigkeiten zu quantifizieren und strategische Entscheidungen zwischen Wiederherstellung und Diversifikation zu treffen.
Die Fragilität globaler Lieferketten ist für Risk-Manager und Nachhaltigkeitsverantwortliche in Deutschland längst keine abstrakte Gefahr mehr. Während geopolitische Schocks und Pandemien die Schlagzeilen beherrschen, wächst eine fundamentalere Bedrohung im Verborgenen: der Kollaps von Ökosystemen, von denen Ihre Rohstoffversorgung direkt abhängt. Viele Unternehmen reagieren darauf mit Hochglanz-Nachhaltigkeitsberichten, die oft an der Oberfläche bleiben und die eigentliche Gefahr verkennen.
Die gängige Praxis, sich auf die eigenen Emissionen oder den Wasserverbrauch am Produktionsstandort zu konzentrieren, greift zu kurz. Die wahren Schwachstellen – Ihre Ökosystem-Abhängigkeiten – liegen meist tief in den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen verborgen, bei Zulieferern, von denen Sie vielleicht noch nie gehört haben. Der Verlust der Biodiversität ist somit kein Umweltthema mehr, sondern ein knallhartes operatives Risiko, das die langfristige Geschäftsgrundlage untergräbt.
Doch was wäre, wenn der Schlüssel nicht darin liegt, Risiken nur zu berichten, sondern Ihre Abhängigkeiten systematisch zu verstehen und zu managen? Dieser Artikel bricht mit der reinen Risikoberichterstattung und stellt eine operative Perspektive in den Vordergrund. Wir werden die herkömmliche Sichtweise hinterfragen und Ihnen eine klare Entscheidungslogik an die Hand geben. Anstatt nur Risiken aufzulisten, lernen Sie, die Abhängigkeiten Ihrer Lieferkette zu quantifizieren, zwischen strategischen Optionen wie Ökosystem-Wiederherstellung und Diversifikation abzuwägen und so eine echte, messbare Resilienz aufzubauen.
Dieser Leitfaden führt Sie durch die entscheidenden Schritte, um die Naturabhängigkeiten Ihres Unternehmens zu verstehen und proaktiv zu steuern. Erfahren Sie, wie Sie von der reinen Berichterstattung zu einer wirksamen, resilienten Lieferkettenstrategie gelangen.
Inhaltsverzeichnis: Wie Sie naturbasierte Risiken identifizieren und Ihre Lieferkette absichern
- Warum Biodiversitätsverlust direkt Ihre Rohstoffversorgung bedroht?
- Wie Sie TNFD-konforme Nature-Risk-Assessments durchführen?
- Ökosystem-Wiederherstellung oder Bezugsquellen-Diversifikation: welcher Ansatz?
- Die Wasserrisiken, die 40 % Ihrer Zulieferer gefährden
- Wann grüne Infrastruktur wirtschaftlicher ist als graue: die Entscheidungslogik?
- Die versteckten Abhängigkeiten, die Ihre gesamte Supply Chain lahmlegen können
- Wie Sie Biodiversitätsmaßnahmen in laufenden Betrieb integrieren?
- Wie Sie Betriebsgelände in Biodiversitäts-Hotspots verwandeln und 40 % höhere Standortakzeptanz erreichen
Warum Biodiversitätsverlust direkt Ihre Rohstoffversorgung bedroht?
Für viele deutsche Unternehmen scheint der Verlust der biologischen Vielfalt ein fernes Problem zu sein, das eher Umweltorganisationen als die eigene Bilanz betrifft. Diese Annahme ist ein gefährlicher Trugschluss. Die Realität ist, dass der Verlust von Bestäubern, die Verschlechterung der Bodenqualität oder die Austrocknung von Feuchtgebieten ganz direkte und messbare Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und die Preise Ihrer Rohstoffe haben. Es geht nicht um ein abstraktes „Naturrisiko“, sondern um eine konkrete Gefährdung der Versorgungssicherheit.
Das Kernproblem liegt selten am eigenen Werkstor in Deutschland, sondern tief in der globalen Lieferkette. Eine Studie von WWF Deutschland und Bain & Company belegt eindrücklich, dass die größten negativen Einflüsse deutscher Wirtschaftszweige auf die Biodiversität in den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen entstehen. Ob es um den Anbau von Baumwolle geht, der von stabilen Wasserzyklen abhängt, oder um die Gewinnung von Mineralien, die ganze Landschaften verändert – Ihre Abhängigkeit von funktionierenden Ökosystemen ist oft größer, als es Ihr Risikomanagement-System erfasst.
Wenn ein Schlüssel-Ökosystem, von dem Ihr Tier-2- oder Tier-3-Zulieferer abhängt, kollabiert, spüren Sie die Auswirkungen in Form von Lieferengpässen, explodierenden Rohstoffpreisen oder Qualitätsproblemen. Der Biodiversitätsverlust wird so von einem externen Faktor zu einem internen, operativen Problem. Die Identifizierung dieser „Hotspots“ in Ihrer Lieferkette ist daher der erste, unerlässliche Schritt, um Ihre Geschäftsgrundlage für die Zukunft zu sichern.
Wie Sie TNFD-konforme Nature-Risk-Assessments durchführen?
Sobald die Abhängigkeit von der Natur als operatives Risiko anerkannt ist, lautet die nächste Frage: Wie kann man dieses komplexe Thema systematisch und standardisiert bewerten? Die Antwort liefert die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD). Dieses Rahmenwerk entwickelt sich rasant zum globalen Standard für die Analyse und Offenlegung von naturbezogenen Chancen und Risiken und wird von Investoren und Banken zunehmend gefordert.
Das Herzstück der TNFD ist der LEAP-Ansatz, ein vierstufiger Prozess, der Unternehmen anleitet, ihre Natur-Abhängigkeiten zu durchdringen:
- Locate (Lokalisieren): Identifizieren Sie die Schnittstellen Ihrer Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten mit der Natur. Wo genau – geografisch und prozessual – berühren Sie Ökosysteme?
- Evaluate (Evaluieren): Bewerten Sie Ihre Abhängigkeiten von und Ihre Auswirkungen auf die Natur an diesen Schnittstellen. Welche Ökosystemleistungen sind für Sie kritisch?
- Assess (Abschätzen): Analysieren Sie die materiellen Risiken und Chancen, die sich aus diesen Abhängigkeiten und Auswirkungen für Ihr Unternehmen ergeben.
- Prepare (Vorbereiten): Entwickeln Sie auf Basis der Analyse geeignete strategische Antworten, setzen Sie Ziele und bereiten Sie die Offenlegung Ihrer Ergebnisse vor.
Dieser strukturierte Prozess wandelt das diffuse Gefühl eines „Naturrisikos“ in eine konkrete, datenbasierte Managementaufgabe. Die wachsende globale Akzeptanz des TNFD-Standards, der laut einer Analyse bis Oktober 2024 bereits von über 500 Unternehmen und Finanzinstituten angenommen wurde, zeigt die Dringlichkeit. Ein TNFD-konformes Assessment ist keine bürokratische Übung, sondern ein strategisches Werkzeug zur Sicherung Ihrer operativen Resilienz.

Wie die visuelle Darstellung andeutet, ist der LEAP-Prozess eine Reise von der breiten Identifikation hin zu konkreten Maßnahmen. Er zwingt Unternehmen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und die gesamte Wertschöpfungskette in die Analyse einzubeziehen. Dies ist der entscheidende Schritt, um versteckte Risiken aufzudecken, bevor sie zu handfesten Krisen werden.
Ökosystem-Wiederherstellung oder Bezugsquellen-Diversifikation: welcher Ansatz?
Nachdem ein Nature-Risk-Assessment die kritischen Abhängigkeiten in Ihrer Lieferkette aufgedeckt hat, stehen Sie vor einer strategischen Grundsatzentscheidung: Investieren Sie in die Wiederherstellung des Ökosystems vor Ort, um die bestehende Bezugsquelle langfristig zu sichern? Oder entscheiden Sie sich für die Diversifikation Ihrer Bezugsquellen, um die Abhängigkeit von einer einzigen, gefährdeten Region zu reduzieren? Beide Strategien haben ihre Berechtigung, folgen aber einer völlig unterschiedlichen Logik in Bezug auf Zeit, Kosten und Risikominderung.
Die Entscheidung ist keine reine Bauchentscheidung, sondern erfordert eine kühle, kaufmännische Abwägung. Wie Yvonne Zwick, Vorsitzende des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e.V., treffend formuliert:
Es ist im Eigeninteresse von Unternehmen und Finanzinstituten, Biodiversitätsrisiken zu bilanzieren.
– Yvonne Zwick, Vorsitzende des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e.V.
Diese Bilanzierung muss auch die strategischen Handlungsoptionen umfassen. Die Ökosystem-Wiederherstellung ist eine langfristige Investition in die operative Resilienz. Sie sichert nicht nur Ihre Rohstoffbasis, sondern schafft auch erhebliche Reputationsvorteile und erfüllt die Anforderungen von Regulierungen wie der CSRD. Die Diversifikation hingegen ist oft eine schnellere, kurzfristig wirksame Taktik, um akute Risiken zu umgehen, löst aber das zugrundeliegende systemische Problem nicht.
Die folgende Matrix stellt die zentralen Kriterien für diese strategische Entscheidung gegenüber und dient als Grundlage für Ihre interne Entscheidungslogik, wie eine vergleichende Analyse der Ansätze nahelegt.
| Kriterium | Ökosystem-Wiederherstellung | Bezugsquellen-Diversifikation |
|---|---|---|
| Zeitrahmen | Langfristig (3-10 Jahre) | Kurz- bis mittelfristig (6-24 Monate) |
| Investitionskosten | Hoch initial, sinkend über Zeit | Moderat, aber kontinuierlich |
| Risikominderung | Nachhaltig und systemisch | Schnell, aber potentiell oberflächlich |
| Stakeholder-Akzeptanz | Sehr hoch (Reputation) | Neutral bis positiv |
| Regulatorische Vorteile | Stark (CSRD, TNFD-konform) | Begrenzt |
Die Wasserrisiken, die 40 % Ihrer Zulieferer gefährden
Unter allen Ökosystem-Abhängigkeiten ist Wasser die wohl fundamentalste und gleichzeitig volatilste. Die jüngste Vergangenheit in Deutschland hat dies schmerzhaft verdeutlicht. Wie der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigt, litt Deutschland von 2018 bis 2022 unter einer historischen Mega-Trockenheit, gefolgt von einem extrem nassen Jahr 2023. Diese zunehmende Volatilität zwischen Dürre und Hochwasser stellt eine massive Bedrohung für Lieferketten dar – von der Landwirtschaft bis zur energieintensiven Produktion, die auf Kühlwasser angewiesen ist.

Das Risiko manifestiert sich nicht nur in ausgetrockneten Feldern. Es betrifft die Energieversorgung, die Binnenschifffahrt und industrielle Prozesse. Eine WWF-Analyse zu deutschen Kraftwerken mit erhöhtem Wasserrisiko zeigt, dass selbst in einem wasserreichen Land wie Deutschland kritische Infrastrukturen wie die Kohlekraftwerke Jänschwalde und Boxberg oder das Gaskraftwerk Kirchmöser von Dürrerisiken betroffen sind. Fällt ein solches Kraftwerk aus, hat das Kaskadeneffekte auf die gesamte regionale Wirtschaft und damit auch auf Ihre Zulieferer.
Für Ihr Risikomanagement bedeutet das: Eine Analyse der Wasserrisiken muss weit über den eigenen Standort hinausgehen. Sie müssen die Wasserstress-Level in den Regionen Ihrer wichtigsten Zulieferer bewerten. Nutzen Sie Tools wie den WWF Water Risk Filter, um Hotspots zu identifizieren. Ein Zulieferer in einer Region mit hohem Wasserstress ist eine tickende Zeitbombe für Ihre Lieferkette, selbst wenn seine Fabrik heute noch reibungslos läuft. Die Frage ist nicht, ob das Risiko eintritt, sondern wann.
Wann grüne Infrastruktur wirtschaftlicher ist als graue: die Entscheidungslogik?
Die Antwort auf zunehmende Naturrisiken wie Starkregen oder Hitzewellen liegt nicht immer in größeren Rohren oder leistungsfähigeren Klimaanlagen – der klassischen „grauen“ Infrastruktur. Immer häufiger erweist sich grüne Infrastruktur als die wirtschaftlich intelligentere Lösung. Dachbegrünungen, Versickerungsflächen oder betriebseigene Biotope sind nicht nur ökologisch wertvoll, sondern bieten handfeste finanzielle Vorteile, die in einer reinen Kosten-Nutzen-Rechnung oft übersehen werden.
Die Entscheidungslogik erfordert einen erweiterten Blick über die reinen Initialinvestitionen hinaus. Es geht um eine Total Cost of Ownership (TCO)-Betrachtung, die auch langfristige Betriebskosten und sogenannte „Co-Benefits“ einbezieht. Grüne Infrastruktur hat oft deutlich geringere Wartungskosten und schafft Mehrwerte, die graue Infrastruktur nicht bieten kann: Sie verbessert das Mikroklima, steigert das Wohlbefinden der Mitarbeiter und erhöht den Immobilienwert. In Deutschland kommt ein weiterer Faktor hinzu: Unternehmen können durch die Reduzierung versiegelter Flächen bei der gesplitteten Abwassergebühr bares Geld sparen.
Um die Wirtschaftlichkeit zu bewerten, müssen Sie folgende Aspekte systematisch vergleichen:
- Initialinvestition: Direkter Vergleich der Erstellungskosten von grünen und grauen Lösungen.
- Laufende Kosten: Berücksichtigung von Wartung, Reparaturen und Gebühren über den Lebenszyklus.
- Co-Benefits: Monetarisierung von Vorteilen wie Kühlungseffekten, Mitarbeitergesundheit und Markenimage.
- Regulatorische Vorteile: Schnellere Genehmigungsverfahren und die Erfüllung von Nachhaltigkeitsauflagen (z.B. im Rahmen der CSRD).
- Immobilienwert: Einbeziehung der nachweislichen Wertsteigerung von Grundstücken durch naturnahe Gestaltung.
Ihre 5-Punkte-Checkliste zur Wirtschaftlichkeitsanalyse
- Punkte de contact: Identifizieren Sie alle Betriebsbereiche, in denen grüne Infrastruktur graue ersetzen könnte (Dachflächen, Parkplätze, Entwässerung).
- Collecte: Inventarisieren Sie die Kosten bestehender grauer Infrastruktur (Wartung, Gebühren, Energie) und prognostizieren Sie zukünftige Ausgaben.
- Cohérence: Bewerten Sie geplante grüne Lösungen anhand Ihrer Unternehmenswerte und konkreter CSRD-Ziele zur Biodiversität.
- Mémorabilité/émotion: Quantifizieren Sie die „Co-Benefits“ (z.B. geschätzte Reduktion von Krankheitstagen, Wert für das Markenimage) im Vergleich zu rein funktionalen grauen Lösungen.
- Plan d’intégration: Erstellen Sie einen priorisierten Plan zur Umstellung, beginnend mit den Projekten mit dem höchsten finanziellen und ökologischen ROI.
Die versteckten Abhängigkeiten, die Ihre gesamte Supply Chain lahmlegen können
Die offensichtlichsten Risiken in einer Lieferkette sind oft nicht die gefährlichsten. Während sich viele Unternehmen auf Tier-1-Zulieferer konzentrieren, lauern die wahren „Single Points of Failure“ oft unbemerkt in den tieferen Ebenen der Wertschöpfungskette. Eine kleine, spezialisierte Firma in einer von Dürre bedrohten Region, die eine unersetzliche Komponente für Ihren Tier-2-Zulieferer herstellt, kann Ihre gesamte Produktion zum Stillstand bringen. Diese versteckten Abhängigkeiten sind das Resultat einer unzureichenden Transparenz über die gesamte Supply Chain.
Naturrisiken verschärfen dieses Problem exponentiell. Eine Analyse von Lieferkettenstörungen im Jahr 2024 ergab, dass die Häufigkeit von Störungen mit fast 15 Vorfällen pro Jahr und Unternehmen weiterhin erheblich war. Dabei nahmen Naturkatastrophen im Zuge des Klimawandels stetig zu. Es sind genau diese Ereignisse – ein lokales Hochwasser, ein regionaler Waldbrand, eine anhaltende Dürre –, die unvorhergesehen zuschlagen und die Achillesfersen Ihrer Lieferkette offenlegen.
Rolf-Dieter Düster von der Setlog Supply-Chain-Management Software bringt es auf den Punkt:
Der Klimawandel ist in der Logistik angekommen. Die Prognosen der Klimaforscher zeigen, dass es höchste Zeit für Politik und Firmen ist, Vorkehrungen zu treffen.
– Rolf-Dieter Düster, Setlog Supply-Chain-Management Software
Vorkehrungen zu treffen bedeutet hier vor allem, radikale Transparenz zu schaffen. Sie müssen wissen, woher Ihre Rohstoffe wirklich kommen und welche Ökosysteme für deren Verfügbarkeit entscheidend sind. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Ihren direkten Zulieferern, um Informationen über deren eigene Lieferketten zu erhalten. Nur wer seine Abhängigkeiten kennt, kann sie managen. Andernfalls bleibt Ihr Risikomanagement ein Blindflug.
Wie Sie Biodiversitätsmaßnahmen in laufenden Betrieb integrieren?
Die Erkenntnis von Naturrisiken und die Entwicklung einer Strategie sind wichtige erste Schritte. Doch die wirkliche Herausforderung liegt darin, den Schutz der Biodiversität fest im Tagesgeschäft und in den Entscheidungsprozessen des Unternehmens zu verankern. Es darf kein separates „Umweltprojekt“ bleiben, sondern muss Teil der DNA des operativen Managements werden. Die Integration in bestehende Systeme wie Einkauf, Controlling und Management-Zielvereinbarungen ist hierfür der Schlüssel.
Dies ist keine rein altruistische Übung, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wie eine PwC-Analyse zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von Naturkapital belegt, sind mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (55 Prozent) direkt oder indirekt von der Verfügbarkeit von Naturkapital abhängig. Die Integration von Biodiversitätsmaßnahmen ist somit eine direkte Investition in die Sicherung Ihrer zukünftigen Wertschöpfung.
Die praktische Umsetzung kann über folgende Hebel erfolgen:
- Einkaufsscreening: Beginnen Sie mit einer Analyse Ihrer wichtigsten eingekauften Ressourcen. Identifizieren Sie kritische Rohstoffe, deren Anbau oder Gewinnung bekanntermaßen hohe Biodiversitätsrisiken birgt.
- Lieferantenvorgaben: Integrieren Sie Kriterien zum Schutz der biologischen Vielfalt in Ihre Einkaufsbedingungen und Lieferantenbewertungen. Fordern Sie Nachweise über nachhaltige Anbaumethoden oder Zertifizierungen.
- Substitution: Prüfen Sie aktiv, ob kritische Rohstoffe durch Produkte aus nachweislich nachhaltigerer Herkunft oder durch innovative, naturunabhängige Alternativen ersetzt werden können.
- KPIs und Zielvereinbarungen: Definieren Sie messbare Biodiversitäts-KPIs (z.B. „Anteil zertifizierter Rohstoffe“, „Artenvielfalt-Index auf Betriebsgeländen“) und verankern Sie diese in den Zielvereinbarungen für relevante Führungskräfte – vom Einkaufsleiter bis zum Werksleiter.
Nur wenn Biodiversität messbar wird und finanzielle Anreize damit verknüpft sind, wird sie von einem „Soft Topic“ zu einem harten Managementkriterium. So wird der Schutz der Natur zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenssteuerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Ihr größtes Naturrisiko liegt nicht am Werkstor, sondern in den unentdeckten Abhängigkeiten Ihrer globalen Lieferkette von spezifischen Ökosystemleistungen.
- Das TNFD-LEAP-Framework ist der internationale Standard, um diese Abhängigkeiten systematisch zu lokalisieren, zu bewerten und in materielle Geschäftsrisiken zu übersetzen.
- Wahre Resilienz entsteht nicht durch Berichte, sondern durch strategische Entscheidungen: die gezielte Investition in Ökosystem-Wiederherstellung, die Diversifikation von Bezugsquellen oder die Wahl grüner statt grauer Infrastruktur.
Wie Sie Betriebsgelände in Biodiversitäts-Hotspots verwandeln und 40 % höhere Standortakzeptanz erreichen
Während die größten Risiken oft in der Lieferkette liegen, bieten die eigenen Betriebsgelände eine enorme Chance, sichtbar und wirkungsvoll zu handeln. Die Umwandlung von monotonen Rasenflächen und versiegelten Parkplätzen in lebendige, artenreiche Lebensräume ist weit mehr als nur „Greenwashing“. Es ist eine Investition mit dreifacher Rendite: Sie schaffen ökologischen Mehrwert, steigern die Mitarbeiterzufriedenheit und verbessern die Akzeptanz Ihres Unternehmens in der lokalen Gemeinschaft erheblich.
Das Berliner Unternehmen Einhorn Products hat beispielsweise 2022 und 2023 ein detailliertes Biodiversitäts-Assessment seiner Kondomlieferkette durchgeführt, um eine bessere Grundlage für den Ressourceneinsatz zu schaffen. Dieser Ansatz, die Auswirkungen zu verstehen und gezielt zu handeln, lässt sich auch auf das eigene Betriebsgelände übertragen. Maßnahmen wie Wildblumenwiesen, begrünte Fassaden oder die Anlage von Biotopen sind sichtbare Zeichen Ihres Engagements, die von Anwohnern und potenziellen Mitarbeitern positiv wahrgenommen werden.
Praxisbeispiel: Standortakzeptanz durch Naturschutz
Ein mittelständisches Produktionsunternehmen in einer ländlichen deutschen Gemeinde sah sich mit Widerstand gegen eine geplante Werkserweiterung konfrontiert. Anstatt nur auf technische Argumente zu setzen, initiierte das Unternehmen ein umfassendes Programm zur naturnahen Gestaltung des gesamten Firmengeländes. Es legte Feuchtbiotope an, pflanzte heimische Sträucher und installierte Nistkästen. Durch Tage der offenen Tür und Kooperationen mit lokalen Schulen wurde die Öffentlichkeit aktiv eingebunden. Das Ergebnis: Die Bedenken in der Gemeinde wichen Stolz auf „ihr“ naturnahes Unternehmen, die Genehmigungsverfahren beschleunigten sich und die Standortakzeptanz stieg messbar.
Konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Standortakzeptanz umfassen:
- Anlegen von Wildwiesen und Biotopen als Lebensraum für Insekten und Vögel.
- Gebäudebegrünung zur Kühlung, Luftfilterung und als sichtbares Symbol.
- Organisation von Tagen der offenen Tür mit Fokus auf die Biodiversitätsprojekte.
- Kooperationen mit lokalen Schulen und Naturschutzverbänden.
- Teilnahme an deutschen Zertifizierungen wie „Wir tun was für Bienen!“, um das Engagement glaubwürdig zu kommunizieren.
Die Identifizierung und Absicherung gegen naturbasierte Risiken ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess der Analyse, Anpassung und Integration. Beginnen Sie noch heute damit, die Transparenz in Ihrer Lieferkette zu erhöhen und Ihre Abhängigkeiten von der Natur als strategische Managementaufgabe zu begreifen. Fordern Sie eine erste, auf dem TNFD-Framework basierende Bewertung Ihrer kritischsten Wertschöpfungsketten an, um Ihre Resilienz proaktiv zu gestalten.