Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Zusammenfassend:

  • Die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen ist ein direktes, kalkulierbares Risiko für Ihre Kostenbasis und Produktionssicherheit.
  • Gezielte Prozessoptimierung zur Reduzierung von Ausschuss und Verschnitt birgt Einsparpotenziale von bis zu 20 % der Materialkosten.
  • Die Diversifizierung von Lieferanten und der Aufbau strategischer Reserven sind unerlässlich, um geopolitischer Erpressbarkeit entgegenzuwirken.
  • Kreislaufwirtschaftsmodelle sind nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern eröffnen neue, profitable Erlösströme durch Rücknahme und Aufarbeitung.

Steigende Materialpreise und brüchige Lieferketten setzen produzierende Unternehmen in Deutschland massiv unter Druck. Für Produktions- und Beschaffungsleiter wird die Sicherung der Rohstoffversorgung zur täglichen Zerreißprobe. Die üblichen Ratschläge wie „effizienter wirtschaften“ oder „mehr recyceln“ greifen oft zu kurz, weil sie die strategische Dimension des Problems ignorieren. Die Abhängigkeit von wenigen Lieferländern für kritische Materialien wie Gallium, Germanium oder Lithium ist längst keine abstrakte Gefahr mehr, sondern ein handfestes Geschäftsrisiko, das die gesamte Kostenbasis gefährden kann.

Doch was, wenn die wahre Lösung nicht allein in der reaktiven Absicherung von Lieferketten liegt, sondern in einer proaktiven Neuausrichtung des eigenen Ressourceneinsatzes? Wenn Materialeffizienz nicht länger als ökologische Option, sondern als strategisches Gebot für Kostensenkung und unternehmerische Resilienz verstanden wird? Es geht nicht mehr nur darum, Ressourcen zu schonen, sondern darum, die eigene Wertschöpfung wetterfest zu machen – gegen geopolitische Stürme und Marktturbulenzen.

Dieser Artikel liefert Ihnen einen praxisorientierten Fahrplan. Wir analysieren nicht das „Was“, sondern das „Wie“ und das „Wieviel“. Sie erfahren, wie Sie konkrete Risiken in Ihrer Kostenbasis identifizieren, Ausschuss systematisch eliminieren, die richtige Balance zwischen Materialsubstitution und optimierter Nutzung finden und durch zirkuläre Geschäftsmodelle sogar neue Erlösströme generieren. Es ist an der Zeit, Ressourceneffizienz als zentralen Hebel für Versorgungssicherheit und Profitabilität zu begreifen.

Der folgende Leitfaden führt Sie durch die entscheidenden Handlungsfelder, um Ihre Materialeffizienz strategisch zu steigern. Jeder Abschnitt beleuchtet einen spezifischen Hebel, von der Risikoanalyse bis zur Generierung neuer Umsätze, und bietet Ihnen konkrete Ansatzpunkte für Ihr Unternehmen.

Warum kritische Rohstoffe Ihre Kostenbasis gefährden?

Die Stabilität Ihrer Produktionskosten hängt direkt von der Verfügbarkeit und den Preisen der eingesetzten Rohstoffe ab. Für viele Unternehmen in Deutschland ist diese Grundlage jedoch zunehmend fragil. Die Abhängigkeit von Importen ist gerade bei kritischen Rohstoffen, die für Zukunftstechnologien essenziell sind, enorm. Wie Prof. Dr. Volker Steinbach vom BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) betont, gibt es bei den von der EU als kritisch eingestuften Mineralien nur eine vergleichsweise geringe Eigenproduktion in Deutschland. Dies schafft eine direkte Verwundbarkeit gegenüber globalen Marktschwankungen und geopolitischen Spannungen.

Das Risiko ist keine theoretische Annahme, sondern wird in naher Zukunft konkret spürbar. Aktuelle Prognosen zeichnen ein düsteres Bild: Laut der Internationalen Energieagentur werden bereits 2024 Engpässe bei Gallium und Germanium erwartet. Bis 2030 droht bei Lithium und Kupfer ein Angebotsdefizit von jeweils 10 %, bei Kobalt sogar 40 % und bei Neodym 30 %. Ein solches Defizit treibt nicht nur die Preise in die Höhe, sondern kann im schlimmsten Fall zu Produktionsstillständen führen. Die Kosten für die Beschaffung eskalieren, während die Planbarkeit der Produktion sinkt.

Für Beschaffungs- und Produktionsleiter bedeutet dies, dass die traditionelle Kostenkalkulation an ihre Grenzen stößt. Der reine Einkaufspreis eines Materials ist nur noch ein Teil der Gleichung. Die wahren Kosten müssen das Risiko von Lieferausfällen, die Notwendigkeit teurer Alternativbeschaffung und die potenziellen Vertragsstrafen bei eigenen Lieferverzögerungen einbeziehen. Die Gefährdung der Kostenbasis ist somit nicht nur eine Frage des Preises, sondern eine Frage der fundamentalen Versorgungsresilienz. Ein unvorhergesehener Lieferstopp kann die Profitabilität eines ganzen Geschäftsjahres zunichtemachen.

Wie Sie Ausschuss reduzieren und Materialausbeute maximieren?

Während externe Risiken schwer zu kontrollieren sind, liegt einer der größten Hebel zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung direkt im eigenen Unternehmen: die Reduzierung von Ausschuss und die Maximierung der Materialausbeute. In vielen Fertigungsprozessen wird ein signifikanter Teil wertvoller Rohstoffe zu Abfall, noch bevor das Endprodukt entsteht. Dieser Verschnitt, fehlerhafte Teile oder Produktionsreste belasten nicht nur die Umwelt, sondern direkt Ihre Materialkosten. Das Potenzial ist gewaltig: Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft zeigt, dass im verarbeitenden Gewerbe eine Reduktion des Materialverbrauchs um 20 % möglich ist. Für die deutsche Wirtschaft entspricht dies einer jährlichen Kostenentlastung von rund 100 Milliarden Euro.

Der Schlüssel zur Hebung dieses Potenzials liegt in der systematischen Analyse und Optimierung der eigenen Abläufe. Die Nutzung von digitalen Zwillingen, also virtuellen Abbildern von Produktionsprozessen, ermöglicht es, Schwachstellen zu identifizieren und Optimierungen zu simulieren, ohne in den laufenden Betrieb einzugreifen. So lassen sich beispielsweise Schnittmuster für Bleche oder Stoffe optimieren, um den Verschnitt drastisch zu reduzieren.

Digitale Zwillinge zur Prozessoptimierung in der Fertigung

Konkrete Ansatzpunkte zur Steigerung der Materialausbeute umfassen mehrere Ebenen. Es beginnt bei der Optimierung der Produktionsprozesse selbst, geht über ein ressourcenschonendes Produktdesign (Leichtbau) und erstreckt sich bis hin zur Optimierung des Produktionsumfeldes, wie etwa bei der Lagerhaltung und dem Verpackungsmaterial. Methoden wie die Stoffstromanalyse und die Materialflusskostenrechnung helfen dabei, den Weg der Materialien durch das Unternehmen transparent zu machen und versteckte Kosten aufzudecken. Jeder Kubikmeter eingespartes Material und jedes Kilogramm vermiedener Abfall stärkt direkt Ihre Kostenbasis und erhöht die Unabhängigkeit von knappen Ressourcen.

Materialaustausch oder bessere Nutzung: welche Strategie wirtschaftlicher ist?

Angesichts steigender Rohstoffrisiken stehen Unternehmen vor einer strategischen Weichenstellung: Soll man kritische Materialien durch besser verfügbare Alternativen ersetzen (Substitution) oder den Einsatz der bestehenden Materialien durch intelligentere Prozesse optimieren? Die Antwort ist nicht pauschal, sondern hängt von einer sorgfältigen wirtschaftlichen Abwägung ab. Beide Strategien zielen darauf ab, die Versorgungsresilienz zu erhöhen und die Kostenbasis zu stabilisieren, doch ihre Hebel und Zeiträume sind unterschiedlich.

Die Substitution kritischer Rohstoffe ist oft ein langfristiges und forschungsintensives Unterfangen. Sie kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen: auf der Elementebene (z. B. Ersatz von Kobalt in Batterien), der Materialebene (z. B. Einsatz von Verbundwerkstoffen statt Stahl) oder der Komponentenebene (z. B. ein neues Bauteil mit anderer Materialzusammensetzung). Der Vorteil liegt in der potenziellen vollständigen Unabhängigkeit von einem Risikorohstoff. Die Nachteile sind jedoch hohe F&E-Kosten, lange Qualifizierungs- und Testphasen sowie die Unsicherheit, ob das Substitut die geforderten technischen Eigenschaften zu einem wettbewerbsfähigen Preis erreicht. Eine Substitution ist dann am wirtschaftlichsten, wenn das Risiko eines Lieferabrisses extrem hoch und der Preis des kritischen Materials dauerhaft volatil ist.

Im Gegensatz dazu zielt die Optimierung der Nutzung auf kurz- bis mittelfristige Erfolge ab. Hier geht es darum, mit weniger Material den gleichen oder einen höheren Output zu erzielen. Wie die IHK Region Stuttgart in ihrem Leitfaden zur Ressourceneffizienz treffend formuliert, drehen sich die Prinzipien um die optimale Nutzung von Ressourcen, um den gewünschten Ertrag zu erzielen. Dies umfasst Maßnahmen wie die Reduzierung von Fertigungstoleranzen, die Einführung von Leichtbauweisen im Produktdesign oder die Kaskadennutzung, bei der Materialreste aus einem hochwertigen Prozess in einem weniger anspruchsvollen Prozess weiterverwendet werden. Diese Strategie erfordert geringere Anfangsinvestitionen und liefert schnellere finanzielle Rückflüsse. Sie reduziert die Abhängigkeit schrittweise, ohne die Produktarchitektur radikal verändern zu müssen. Für die meisten Unternehmen ist eine Kombination beider Strategien der Königsweg: kurzfristig die Nutzung optimieren, um Kosten zu senken, und parallel langfristige Substitutionsprojekte für die größten Risikomaterialien vorantreiben.

Die Rohstoff-Monopole, die Sie erpressbar machen

Die größte Gefahr für die Versorgungssicherheit deutscher Industrieunternehmen geht von der extremen Konzentration der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung in wenigen Ländern aus. Allen voran hat China eine quasi-monopolistische Stellung bei vielen kritischen Rohstoffen aufgebaut, insbesondere bei seltenen Erden, Magnesium, Gallium und Germanium. Diese Abhängigkeit ist kein rein wirtschaftliches, sondern ein hochgradig politisches Risiko. Exportbeschränkungen können als geopolitischer Hebel eingesetzt werden, um politische Ziele durchzusetzen – mit direkten Folgen für Ihre Produktion und Ihre Lieferfähigkeit.

Die Europäische Union hat diese Gefahr erkannt und mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) reagiert. Die Verordnung 2024/1252 gibt ein klares Ziel vor: Nicht mehr als 65 % des jährlichen EU-Verbrauchs eines strategischen Rohstoffs sollen aus einem einzigen Drittland stammen. Dieses Ziel verdeutlicht die aktuelle Schieflage und den dringenden Handlungsbedarf für Unternehmen, ihre Lieferketten zu diversifizieren. Wer heute noch zu über 90 % von einem einzigen Land abhängig ist, setzt sein Geschäftsmodell einem unkalkulierbaren Risiko aus und macht sich erpressbar.

Um dieser Erpressbarkeit entgegenzuwirken, müssen Unternehmen eine proaktive Risikominimierungsstrategie entwickeln. Passive Hoffnung auf stabile politische Verhältnisse ist keine Option. Die KfW skizziert hierfür mehrere wirksame Ansätze:

  • Diversifizierung der Lieferketten: Aktive Suche nach Lieferanten in verschiedenen geografischen Regionen (z. B. Australien, Kanada, Südamerika), auch wenn die Kosten initial höher sein mögen. Die Mehrkosten sind eine Versicherungsprämie gegen Ausfallrisiken.
  • Aufbau strategischer Reserven: Gezielte Lagerhaltung kritischer Rohstoffe, um kurzfristige Lieferengpässe von mehreren Monaten überbrücken zu können.
  • Substitution: Systematische Forschung an Alternativmaterialien, um die Abhängigkeit von den kritischsten Rohstoffen langfristig zu reduzieren.
  • Bildung von Stakeholder-Allianzen: Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, Verbänden und sogar Wettbewerbern, um gemeinsame Einkaufsstrategien zu entwickeln oder Recycling-Infrastrukturen aufzubauen.

Diese Maßnahmen erfordern strategische Weitsicht und Investitionen. Sie sind jedoch unerlässlich, um die unternehmerische Souveränität zu wahren und die Kontrolle über die eigene Produktion zu behalten.

Wie Sie Betriebs-Utilities optimieren: das Efficiency-Programm?

Materialeffizienz endet nicht beim Produktionsmaterial. Ein oft unterschätzter, aber enorm wirkungsvoller Hebel zur Kostensenkung liegt in der Optimierung von Betriebs-Utilities. Dazu zählen Energie (Strom, Gas, Wärme), Druckluft, Wasser und andere Betriebsmittel, die für den Produktionsprozess notwendig sind. In vielen Betrieben werden diese Ressourcen als selbstverständliche und fixe Kostenblöcke betrachtet, obwohl sie erhebliche Einsparpotenziale bergen. Ein systematisches Effizienz-Programm für Utilities senkt nicht nur die Betriebskosten, sondern macht Unternehmen auch unabhängiger von volatilen Energiepreisen.

Der erste Schritt eines solchen Programms ist immer die Transparenz. Wo wird wie viel Energie oder Druckluft verbraucht? Intelligente Messsysteme (Smart Metering) auf Maschinen- oder Abteilungsebene decken schnell die größten Verbraucher und versteckte Lecks auf. Allein im Bereich Druckluft gehen in vielen Anlagen bis zu 30 % der erzeugten Energie durch Leckagen im Leitungssystem verloren – eine reine Verschwendung. Die Optimierung der Wärmerückgewinnung aus Produktionsprozessen ist ein weiteres Feld mit hohem Potenzial. Abwärme von Maschinen kann oft genutzt werden, um Büros zu heizen oder Wasser vorzuwärmen, anstatt sie ungenutzt an die Umgebung abzugeben.

Energieeffizienz-Optimierung in der Produktionsanlage

Ein strukturiertes Vorgehen, beispielsweise durch die Implementierung eines Energiemanagementsystems nach ISO 50001, hilft, diese Potenziale systematisch zu heben. Wie die Plattform Ressource Deutschland hervorhebt, verschaffen sich Unternehmen durch ressourceneffizientes Wirtschaften nicht nur Wettbewerbsvorteile durch Kostensenkungen, sondern entwickeln auch Know-how und Technologien, die sich weltweit vermarkten lassen. Ein Effizienz-Programm ist somit nicht nur ein Sparprogramm, sondern auch ein Innovationsmotor. Es zwingt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Prozessen und führt oft zu intelligenteren und robusteren technischen Lösungen, die die Gesamtproduktivität steigern.

Rücknahme, Aufarbeitung oder Materialrecycling: welches Modell für Ihre Produkte?

Die Kreislaufwirtschaft bietet verschiedene Modelle, um den Wert von Produkten und Materialien über ihren ersten Lebenszyklus hinaus zu erhalten. Für produzierende Unternehmen stellt sich die Frage, welches Modell am besten zum eigenen Produktportfolio und Geschäftsmodell passt. Die drei Kernstrategien – Rücknahme zur Wiederverwendung (Remanufacturing/Refurbishment), Aufarbeitung von Komponenten und reines Materialrecycling – unterscheiden sich erheblich in Komplexität, Wertschöpfung und Kundenschnittstelle.

Die Kreislaufwirtschaft wird künftig die zentrale Rolle bei der Zurverfügungstellung von Rohstoffen für den Wirtschaftskreislauf zukommen. Veränderte Produkte und Produktionsweisen werden in Verbindung mit einem veränderten Konsumverhalten auch maßgeblich zur CO2e-Reduzierung führen.

– bvse, Statusbericht Kreislaufwirtschaft 2024

Rücknahme und Aufarbeitung (Remanufacturing/Refurbishment) ist das Modell mit der höchsten Wertschöpfung. Hier werden gebrauchte Produkte zurückgenommen, professionell überholt, getestet und als zertifizierte „refurbished“ Produkte mit Garantie wieder verkauft. Dieses Modell eignet sich besonders für komplexe und hochwertige Güter wie Maschinen, Elektronik oder Medizintechnik. Es erfordert eine enge Kundenbeziehung, eine ausgefeilte Rücknahmelogistik und ein Produktdesign, das eine einfache Demontage und den Austausch von Verschleißteilen ermöglicht (Design for Circularity).

Die Aufarbeitung von Komponenten ist eine Zwischenstufe. Statt des ganzen Produkts werden nur bestimmte wertvolle Baugruppen oder Teile zurückgewonnen und in neuen Produkten wieder eingesetzt. Dies ist sinnvoll, wenn nur einige Komponenten eines Produkts einen hohen Materialwert oder eine lange Lebensdauer haben. Das Materialrecycling ist die letzte Stufe im Kreislauf. Hier wird das Produkt in seine stofflichen Bestandteile zerlegt, um Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Obwohl die Wertschöpfung geringer ist als beim Remanufacturing, ist der ökologische und strategische Nutzen enorm. Laut dem Statusbericht Kreislaufwirtschaft 2024 werden allein in Deutschland jährlich 60 Millionen Tonnen CO2e durch Recycling und den Einsatz von Sekundärrohstoffen vermieden. Es reduziert die Abhängigkeit von Primärrohstoffen und schließt den Materialkreislauf. Die Wahl des richtigen Modells hängt von der Produktkomplexität, dem Materialwert und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens ab.

Wann Lagerhaltung günstiger ist als Ausfallrisiken: die Rechenformel?

Die Entscheidung über die optimale Lagerbestandsmenge ist für Beschaffungsverantwortliche ein klassischer Zielkonflikt: Hohe Bestände binden Kapital und verursachen Lagerkosten, während zu niedrige Bestände das Risiko von teuren Produktionsstillständen bei Lieferengpässen erhöhen. In Zeiten stabiler Lieferketten war die Just-in-Time-Lieferung oft die kostengünstigste Lösung. Angesichts zunehmender geopolitischer Risiken und volatiler Märkte muss diese Rechnung jedoch neu aufgemacht werden. Eine strategische Lagerhaltung, insbesondere für kritische Rohstoffe, wird zur Versicherungsprämie gegen Ausfallrisiken.

Eine simple „Rechenformel“ gibt es nicht, da zu viele variable und schwer quantifizierbare Risiken eine Rolle spielen. Die klassische EOQ-Formel (Economic Order Quantity), die Bestell- und Lagerkosten optimiert, muss um moderne Risikofaktoren erweitert werden. Der entscheidende Punkt ist die ehrliche Bewertung der Kosten eines Produktionsausfalls. Was kostet es Ihr Unternehmen wirklich, wenn ein kritisches Material für eine Woche, einen Monat oder länger nicht verfügbar ist? Diese Kosten umfassen nicht nur den entgangenen Deckungsbeitrag, sondern auch Vertragsstrafen, Imageverlust und die potenziell langfristige Abwanderung von Kunden.

Stellt man diese potenziellen Ausfallkosten den Kosten für eine erhöhte Lagerhaltung (Kapitalbindung, Lagerfläche, Versicherung) gegenüber, wird schnell ersichtlich, dass ein Pufferbestand für kritische Güter oft die weitaus günstigere Alternative ist. Analysen zeigen, dass selbst kleine Effizienzgewinne einen großen Hebel haben. So lagen Materialeffizienzpotenziale in KMU bei durchschnittlich 2,4 % des Umsatzes, was die finanzielle Relevanz unterstreicht. Eine moderne Lagerhaltungsstrategie differenziert daher klar zwischen dem operativen Puffer und dem eisernen Bestand als strategische Reserve.

Aktionsplan zur Optimierung Ihrer Lagerhaltungsstrategie

  1. Risikoanalyse der Materialien: Klassifizieren Sie alle Rohstoffe nach Kritikalität (Verfügbarkeit, Preisvolatilität, geopolitisches Risiko) und definieren Sie, für welche Materialien eine strategische Bevorratung notwendig ist.
  2. Quantifizierung der Ausfallkosten: Berechnen Sie die Gesamtkosten eines Produktionsstillstands pro Tag für jede kritische Materialgruppe, inklusive Vertragsstrafen und Reputationsschäden.
  3. Anpassung der EOQ-Formel: Integrieren Sie Volatilitäts-Indizes und geopolitische Risikofaktoren in Ihre Bestandsrechnung. Unterscheiden Sie klar zwischen operativem Puffer und strategischem „eisernen Bestand“.
  4. Prüfung alternativer Modelle: Evaluieren Sie Konsignationslager-Modelle, bei denen der Lieferant Eigentümer des Materials bleibt, bis es verbraucht wird. Dies reduziert Ihre Kapitalbindung.
  5. Standortoptimierung des Lagers: Führen Sie eine Gesamtkostenrechnung für zentrale versus dezentrale Lagerstandorte durch, um Transportkosten und Lieferzeiten zu optimieren und Risiken zu streuen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen aus Monopol-Ländern stellt ein direktes und eskalierendes finanzielles Risiko für Ihre Kostenbasis dar.
  • Systematische Prozessoptimierung, insbesondere die Reduzierung von Ausschuss und die Analyse von Stoffströmen, birgt massive und kurzfristig realisierbare Einsparpotenziale.
  • Kreislaufwirtschaft ist keine reine Compliance-Aufgabe, sondern ein strategisches Geschäftsfeld, das durch Rücknahme, Aufarbeitung und Service-Modelle neue, profitable Erlösströme generiert.

Wie Sie durch Circular Economy 20 % zusätzliche Erlöse generieren

Die Kreislaufwirtschaft wird oft auf Recycling und Abfallvermeidung reduziert. Ihr wahres Potenzial für Unternehmen liegt jedoch in der Schaffung völlig neuer Geschäftsmodelle und zusätzlicher Erlösströme. Der Wandel von einem linearen Modell („produzieren, nutzen, wegwerfen“) zu einem zirkulären Ansatz ermöglicht es, den Wert von Produkten und Materialien zu maximieren und neue Dienstleistungen anzubieten. Die deutsche Bundesregierung hat mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie 2024 die Weichen gestellt: Ziel ist es, den Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch bis 2045 zu halbieren und den Anteil recycelter Materialien deutlich zu erhöhen. Dies schafft einen klaren politischen Rahmen und Anreize für Unternehmen, zirkuläre Innovationen voranzutreiben.

Das wirtschaftliche Potenzial ist enorm. Eine Studie von Deloitte zur Kreislaufwirtschaft prognostiziert, dass allein in Deutschland die Bruttowertschöpfung um rund 12 Milliarden Euro pro Jahr steigen und etwa 180.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Die im Titel genannten 20 % zusätzlichen Erlöse sind keine Utopie, sondern für Pioniere bereits Realität. Sie werden durch clevere Geschäftsmodelle erzielt, die weit über den reinen Produktverkauf hinausgehen.

Konkrete Geschäftsmodelle, die neue Erlösströme schaffen, umfassen laut KfW unter anderem:

  • Product-as-a-Service (PaaS): Statt eine Maschine zu verkaufen, wird deren Nutzung als Dienstleistung angeboten (z.B. „Power by the Hour“). Der Hersteller bleibt Eigentümer, ist für Wartung und Effizienz verantwortlich und kann das Produkt am Ende des Lebenszyklus zurücknehmen und aufarbeiten.
  • Verkauf von Nebenprodukten: Abfallströme aus der eigenen Produktion können als wertvolle Rohstoffe für andere Branchen vermarktet werden (industrielle Symbiose).
  • Aufbau einer „Refurbished“-Marke: Der Verkauf von zertifizierten, werkstattüberholten Gebrauchtgeräten spricht preissensible Kunden an und schafft einen zusätzlichen Absatzkanal mit hohen Margen.
  • Monetarisierung von Daten: Die im Lebenszyklus eines Produkts gesammelten Nutzungsdaten können für Predictive-Maintenance-Services oder zur Optimierung zukünftiger Produktgenerationen genutzt und verkauft werden.

Diese Modelle erfordern ein Umdenken: vom reinen Produktdenken hin zum Denken in Lebenszyklen und Dienstleistungen. Sie stärken die Kundenbindung, schaffen wiederkehrende Umsätze und reduzieren gleichzeitig die Abhängigkeit von primären Rohstoffen.

Beginnen Sie noch heute damit, das zirkuläre Potenzial Ihrer Produkte und Prozesse zu analysieren. Die systematische Bewertung von Rücknahmesystemen, Aufarbeitungsmöglichkeiten und Service-Modellen ist der erste Schritt, um Ihr Unternehmen zukunftssicher aufzustellen und neue, nachhaltige Erlösquellen zu erschließen.

Geschrieben von Katharina Schneider, Katharina Schneider ist promovierte Umweltwissenschaftlerin und zertifizierte ESG-Beraterin mit über 12 Jahren Erfahrung in nachhaltiger Unternehmensführung. Sie leitet als Head of Sustainability die Nachhaltigkeitsstrategie eines deutschen Chemiekonzerns und ist spezialisiert auf Kreislaufwirtschaft, Biodiversitätsmanagement und Science-Based Targets.